Krafttraining für Kinder und Jugendliche war lange Zeit sehr umstritten – und ist es zu großen Teilen noch immer. Es bestehen Ängste und Vorurteile, dass Krafttraining beispielsweise das Wachstum schädige, Muskeln und Sehnen überlaste oder zu Verletzungen führe. Außerdem würde Krafttraining vor der Pubertät „nichts bringen“, da die hormonellen Voraussetzungen nicht gegeben seien. Alle Falschannahmen konnten in zahlreichen wissenschaftlichen Studien und auch in der Sportpraxis widerlegt werden.
Ein dem Entwicklungsstand angepasstes, kontrolliert durchgeführtes Krafttraining führt bei Kindern und Jugendlichen nachweislich zu zahlreichen positiven Effekten. Professor Dr. Urs Granacher und Kollegen veröffentlichten 2009 einen Überblick von neueren Studienergebnissen über neuromuskuläre Auswirkungen von Krafttraining im Kindes- und Jugendalter. Demnach ist hinreichend belegt, dass Krafttrainingsprogramme signifikante Kraftgewinne bewirken können – auch präpubertär, also noch vor Eintritt der Pubertät. Je nach Trainingszustand, Belastungsintensität, -häufigkeit und -dauer sowie der Messmethodik konnten trainingsbedingte Krafterhöhungen der Maximalkraft und Kraftausdauer zwischen 13 und 40 % verzeichnet werden. Interessanterweise führten – im Gegensatz zu Krafttrainingsempfehlungen für Erwachsene – Methoden mit höherer Wiederholungszahl und niedrigeren Intensitäten, also Kraftausdauertraining, zu mehr Kraftzuwachs. Dies ist vor allem dadurch zu erklären, dass bei Kindern vor Eintritt der Pubertät das anabol wirkende Hormon Testosteron nur in geringen Mengen vorhanden ist. Dadurch entsteht der Kraftzuwachs weniger durch Muskeldickenwachstum (Hypertrophie), sondern vielmehr durch neuronale Adaptationen. So verbessert sich die intramuskuläre Koordination, also das Zusammenspiel, die Rekrutierung und Synchronisation motorischer Einheiten innerhalb eines Muskels, aber auch die intermuskuläre Koordination. Das bedeutet, dass antagonistische Muskeln weniger aktiv sind (also sich z. B. der Trizeps entspannt, während sich der Bizeps anspannt) und synergetische Muskeln besser zusammenarbeiten.
Nicht zu unterschätzen ist auch der präventive Charakter von Krafttraining im Kindes- und Jugendalter in Bezug auf Verletzungsprophylaxe und Belastbarkeit. So kann akuten und chronischen Erkrankungen des aktiven und passiven Bewegungsapparats – vor allem als Folge von Bewegungsmangel und sitzenden Tätigkeiten – vorgebeugt werden. Krafttraining hat auch das Potenzial, die Knochendichte zu erhöhen sowie Sehnen und Bänder zu stärken. Außerdem bewirkt Krafttraining die Zunahme der fettfreien Körpermasse und die Abnahme des Körperfettanteils, wodurch zahlreichen Folgeerkrankungen von Übergewicht und Adipositas entgegengewirkt werden kann. Krafttrainingsprogramme haben sich auch zur Gewichtsreduktion bewährt, da sie gerade für übergewichtige Kinder mehr Aussicht auf Erfolgserlebnisse bieten. So fallen Betroffenen ausdauernde Sportarten wie schnelles Gehen oder Joggen häufig schwer, wohingegen sie zum Beispiel beim Stemmen und Schieben von Widerständen Kompetenz erleben und mehr Selbstvertrauen aufbauen können.
In den „Nationale[n] Empfehlungen für Bewegung und Bewegungsförderung“ wird zusammengefasst, dass eine hohe Evidenz zwischen „der muskulären Fitness“ und der Reduktion von Adipositas, kardiometabolischen Risikofaktoren wie Insulinresistenz, höherer motorischer Leistungsfähigkeit, Knochengesundheit und Selbstwertgefühl besteht. Des Weiteren beeinflusst das Ausmaß an körperlicher Aktivität im Kindes- und Jugendalter auch die Bewegungszeit als erwachsener Mensch.
Krafttraining im Kindes- und Jugendalter sollte aber nicht nur wegen seiner gesundheitsfördernden Effekte eine wichtige Rolle spielen, sondern auch, weil die motorische Fähigkeit Kraft andere „fundamentale Bewegungsfähigkeiten“ wie Sprinten, Springen, Werfen, Hängen, Beugen und Ziehen maßgeblich positiv beeinflusst.
Die Frage, ob Kinder und Jugendliche Krafttraining absolvieren dürfen bzw. sollten, lässt sich also eindeutig mit Ja beantworten. Dennoch gibt es im Vergleich zum Training mit Erwachsenen einige alters- und entwicklungsbedingte Unterschiede, die in der Sportpraxis beachtet werden sollten.
Trainingsempfehlungen
Ein hartnäckiges Vorurteil besteht darin, dass Krafttraining gefährlich sei. Jedoch ist es im Vergleich zu anderen beliebten Sportarten von Kindern und Jugendlichen um ein Vielfaches sicherer. So treten zum Beispiel beim Fußball pro 100 Stunden Training bzw. Spiel 6,2 Verletzungen auf, beim Basketball 1,0. Beim Krafttraining hingegen sind es nur 0,0035 Verletzungen pro 100 Stunden Training. Außerdem gibt es keinerlei Hinweise darauf, dass ein entwicklungsgerechtes Krafttraining einen negativen Einfluss auf das Wachstum hat oder im Erwachsenenalter zu einer verminderten Körpergröße führt. Ganz im Gegenteil wirkt es sich positiv auf Wachstumsfugen, Knochenformation und Knochenwachstum aus. Daraus lässt sich folgern, dass ein Krafttraining im Kindes- und Jugendalter als sicher gilt.
Um ein risikofreies Training zu ermöglichen, sollte trotzdem auf folgende Hinweise geachtet werden:
- Als der größte Risikofaktor beim Training mit Kindern und Jugendliche gilt der Trainer. Aus diesem Grund sollte ein Übungsleiter entsprechend qualifiziert sein und sich mit den Spezifika der jeweiligen Zielgruppe auskennen.
- Die Trainingsgeräte sollten in einwandfreiem Zustand und auf die Größe der Übenden einstellbar sein.
- Die oberste Priorität sollte auf einer korrekten Bewegungsausführung liegen. Aus diesem Grund sollten Krafttrainingsübungen zunächst ganz ohne Zusatzlast und erst nach mehrmaligem, einwandfreiem Üben mit Zusatzgewichten durchgeführt werden.
- Ein Krafttraining mit moderater Intensität und eher hohen Wiederholungszahlen (15 bis 20 Wiederholungen) ist dem Maximalkraft- und Hypertrophietraining mit höheren Intensitäten und weniger Wiederholungszahlen zu bevorzugen. Zur Progression sollten dann zunächst die Wiederholungen im Satz sowie die Anzahle der Sätze gesteigert werden, bevor der Widerstand erhöht wird.
- Schon ein einmaliges Training pro Woche über einen Zeitraum von mindestens vier Wochen führt zu Kraftzuwächsen. Bei zwei Ganzkörper-Trainingseinheiten pro Woche können jedoch höhere Effekte erzielt werden.
- Vor dem Krafttraining sollten eine allgemeine sowie eine spezifische Erwärmung und im Anschluss ein Cool-down erfolgen.
- Bei großen Wachstumssprüngen sollten Trainingsintensität und -umfang reduziert werden.
Darüber hinaus ergeben sich durch die einzelnen Entwicklungsphasen Besonderheiten in der Trainingsstrukturierung. Im frühen Schulkindesalter haben Kinder von sechs bis zehn Jahren gute körperliche Voraussetzungen mit günstigen Kraft-Hebel-Verhältnissen. Außerdem lassen sich in der Regel ein großer Bewegungsdrang und Bewegungsfreude beobachten. Diese psychophysischen Voraussetzungen machen das frühe Schulkindesalter zu einem ausgezeichneten Lernalter. Als Trainingsempfehlung ergibt sich daraus eine geringe Trainingsstruktur und vielseitiges Üben mit dem Fokus auf Spiel, Spaß und Bewegungsfreude. Fundamentale Bewegungsfähigkeiten wie Ziehen, Schieben, Drücken, Hangeln oder Springen sollten erweitert werden, wobei auf möglichst viele Erfolgserlebnisse geachtet werden sollte.
Das späte Schulkindesalter vom zehnten Lebensjahr an bis zum Eintritt der Pubertät gilt als bestes Lernalter. Die Kraft von Jungen und Mädchen ist nach wie vor nahezu gleich, weshalb einem gemeinsamen Training nichts im Wege steht. In diesem Alter verbessern sich die Last-Kraft-Verhältnisse noch stärker, es kommt zu einer Optimierung der Proportionen durch vermehrtes Breitenwachstum und auch zu Kraftzuwächsen. Hinzu kommen gesteigerter Mut sowie Einsatzbereitschaft und ein hohes Bewegungsbedürfnis. Durch die Fähigkeit des „Lernens auf Anhieb“ sollte insbesondere darauf geachtet werden, dass sich keine falsch gelernten Bewegungsabläufe automatisieren. Das Trainieren sollte zwar zielgerichtet und exakt sein, jedoch noch immer variabel, kindgerecht und freudbetont. Kraftzuwächse basieren auch in dieser Entwicklungsphase hauptsächlich auf neuronalen Adaptationen (inter- und intramuskuläre Koordination).
In der ersten puberalen Phase ergeben sich nun große körperliche Veränderungen und geschlechtsspezifische Unterschiede. Mädchen erreichen die Pubeszenz zwischen dem elften und 14. Lebensjahr, Jungen hingegen im Schnitt ein Jahr später. Durch hormonelle Veränderungen kommt es zur schrittweisen Auflösung kindlicher Strukturen, verschlechterten Last-Kraft-Verhältnissen, einer Abnahme der koordinativen Fähigkeiten und dem Wunsch nach mehr Selbstständigkeit und Eigenverantwortung. Der anabol wirkende Testosteronspiegel erhöht sich bei den Jungen um das 15-Fache im Vergleich zu den Mädchen, weshalb ein deutlich größerer Kraftzuwachs, nun auch durch Hypertrophie, zu verzeichnen ist. In der Trainingspraxis mit Jugendlichen ergeben sich unterschiedliche Bedürfnisse der Trainingsintensität. In Gruppen sollten deshalb verschiedene Ausführungsvarianten der Kraftübungen zur Differenzierung der Geschlechts- und Entwicklungsspezifika angeboten werden. Unter Berücksichtigung der Gesundheitsorientierung sollte Einseitigkeit vermieden und weiterhin vielseitig geübt werden. Außerdem sollten die Jugendlichen, wenn möglich, bei der Planung und Gestaltung mit einbezogen werden.
Die zweite puberale Phase erstreckt sich bis zum 18. bzw. 19. Lebensjahr, markiert den Abschluss der Entwicklung vom Kind zum Erwachsenen und ist gekennzeichnet von optimalen Bedingungen zur Steigerung der sportlichen Leistungsfähigkeit. Die koordinativen und konditionellen Fähigkeiten verbessern sich, das Nervensystem weist eine hohe Plastizität und Lernfähigkeit auf, der Hormonhaushalt stabilisiert sich und das „psychische Chaos“ gleicht sich wieder aus. Die Absolvierung eines umfangreichen, intensiven und auch selbstständigen Trainings wird möglich und in einigen Sportarten bereits das Höchstleistungsalter erreicht.
Organisationsformen des Krafttrainings und Hilfsmittel
Es stellt sich die Frage, ob beim Krafttraining mit Kindern und Jugendliche nur das eigene Körpergewicht genutzt werden sollte, oder ob auch Maschinen und Hilfsmittel wie Kurz- und Langhanteln zum Einsatz kommen können. Es kann festgestellt werden, dass alles seine Vor- und Nachteile hat. Fitnessgeräte und Kraftmaschinen gewährleisten eine exakte Dosierung, einen korrekten Bewegungsablauf und ein geringeres Verletzungsrisiko im Vergleich zu Hanteln durch beispielsweise herunterfallende Scheiben. Andererseits lassen sich nicht alle Geräte auf die Größen und Hebel von Heranwachsenden einstellen. Außerdem ist die Anschaffung meist teuer und viele Vereine und Schulturnhallen haben keinerlei Geräte, unter anderem aus Platz- und Wartungsgründen.
Mit Lang- und Kurzhanteln kann die Intensität ebenso korrekt dosiert werden. Hinzu kommt, dass Gelenke in ihrer Full Range of Motion arbeiten können, was die Kraftübungen funktionaler macht. Der erhöhte koordinative Anspruch, im Vergleich zu Maschinen, ist einerseits als positiv anzusehen, andererseits kann es aber auch zu Überforderung und unsauberen Bewegungsausführungen kommen. Der Betreuungsaufwand ist relativ hoch.
Das Training mit dem eigenen Körpergewicht gilt als praktikabel, vor allem im Schulsport oder in Vereinen. Es ist einfach umzusetzen, risikoarm und kostengünstig. Dennoch gibt es auch Nachteile. Die Belastungsintensität kann schwerer korrekt dosiert werden, eine Progression oft nur ungenau erfolgen und die Übungen nicht immer auf individuelle Bedürfnisse angepasst werden.
Aus den genannten Gründen ist keine der drei Optionen allgemein zu bevorzugen. Es kommt immer auf die Gegebenheiten wie Gruppengröße, Heterogenität, Bedürfnisse, Leistungsvoraussetzungen und Zielsetzungen an. Um das Krafttraining für Kinder und Jugendliche möglichst abwechslungsreich zu gestalten, ist eine Kombination von Übungen mit dem eigenen Körpergewicht, mit einem Partner und Zusatzlasten wie Hanteln, Medizinbällen oder Widerstandsbändern zu empfehlen.
Als Organisationsformen eignen sich abwechslungsreiche Trainingsvarianten, die ein mehrgelenkiges Ganzkörpertraining zur Kräftigung aller großen Muskelgruppen und zur Ausprägung der Muskelfunktionen ermöglichen. So haben sich in der Sportpraxis beispielsweise das Zirkeltraining, Stationstraining und Tabata-Einheiten bewährt.
Als Organisationsformen eignen sich abwechslungsreiche Trainingsvarianten, die ein mehrgelenkiges Ganzkörpertraining zur Kräftigung aller großen Muskelgruppen und zur Ausprägung der Muskelfunktionen ermöglichen. So haben sich in der Sportpraxis beispielsweise das Zirkeltraining, Stationstraining und Tabata-Einheiten bewährt.
Krafttraining kann überall in der realen Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen stattfinden. Bewegungsförderung beginnt zunächst im häuslichen Umfeld, wobei die Eltern eine zentrale Rolle als Bewegungsvorbild spielen. Sie sollten die Bewegungsimpulse der Kinder unterstützen, Aktivitäten wie Hangeln, Stützen, Springen und Rennen fördern und kindgerechte Materialien zur Verfügung stellen. Auch im Kindergarten und in der Schule sollte ein dem Entwicklungsstand angepasstes Krafttraining durchgeführt werden. Man sagt: „Nur der Schulsport erreicht alle.“ Um diese wichtige Bewegungs- und Gesundheitsförderung zu gewährleisten, sind qualifizierte Pädagogen und Lehrkräfte unabdingbar, die sich regelmäßig fortbilden sollten. Außerdem sollte die Bewegungszeit, beispielsweise in Form von mehr Sportstunden oder bewegten Pausenangeboten, erhöht werden. Auch die Vereine kommen um ein vielseitiges, allgemeines Krafttraining nicht herum, um Fehlbelastungen durch einseitiges Trainieren und Verletzungsanfälligkeit zu vermeiden und um die sportliche Leistungsfähigkeit ihrer jungen Athletinnen und Athleten zu steigern.
Fazit
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Krafttraining im Kindes- und Jugendalter nicht nur wünschenswert ist, sondern auch notwendig, um eine optimale körperliche und psychische Entwicklung zu ermöglichen. Die Fähigkeit der Kraft ist in jedem Alter trainierbar und geht mit positiven Adaptationen einher. Durch Krafttraining kann ein wesentlicher Beitrag zur Gesundheit, der (sportlichen) Leistungsfähigkeit und Belastungsverträglichkeit, zur Verletzungsprophylaxe, Vorbeugung von Übergewicht und einem erhöhten Wohlbefinden bis ins Erwachsenenalter geleistet werden.
Quelle: shape UP 2/24
Bildquelle: LightField Studios / shutterstock.com