Einen allgemein gültigen und optimalen Trainingsplan kann es nicht geben. Training und Behandlung sind so individuell wie der Fingerabdruck. Es ist für alle Trainierenden daher unerlässlich, immer individuell zu testen und zu überprüfen, was in der aktuellen Situation das beste Training bzw. die beste Übung für den Einzelnen ist.
Ein häufiges Szenario in der Trainingswelt: Ein Patient hat seit längerer Zeit Rückenbeschwerden und begibt sich deshalb in Behandlung. Nach kurzer Anamnese scheint eine Blockade im Rücken die Beschwerden zu verursachen. Er erhält einen Standardtrainingsplan gegen Rückenbeschwerden, wonach er nun 8 Wochen trainieren soll.
Das Training findet ein Mal pro Woche unter Anleitung eines qualifizierten Trainers statt, um die richtige Übungsausführung zu gewährleisten. Dem Betroffenen geht es in der Zeit jedoch nicht besser, sondern sogar eher schlechter als zuvor. Die Rückenprobleme bestehen unverändert und zusätzlich hat er gelegentlich Schwierigkeiten im Nacken, den Knien und manchmal sogar aufkommenden Schwindel. Wie kann das sein?
Individuell wie ein Fingerabdruck
Oft wird nach vorgefertigten Trainingsplänen oder Trainingssystemen trainiert. Sei es der evidenzbasierte Plan bei Rückenbeschwerden oder auch das anerkannte Behandlungsverfahren nach Methode YX bei Knieschmerzen. Ein wichtiger Punkt wird hierbei jedoch immer vernachlässigt: das Individuum und dessen Nervensystem. Einen allgemein gültigen und optimalen Trainingsplan kann es nicht geben. Training und Behandlung sind so individuell wie der Fingerabdruck. Es ist für Trainer und Therapeuten, aber auch für alle Trainierenden selbst daher unerlässlich, immer individuell zu testen und zu überprüfen, was in der aktuellen Situation das beste Training bzw. die beste Übung für den Einzelnen ist.
Nun gibt es sicher Studios und Praxen, in denen vor jeder Trainingsplanerstellung verschiedene Tests durchgeführt werden, um bestehende Probleme sowie Defizite zu erkennen. Rumpfkraftmessung, FMS-Test und diverse Fragebögen. Die Liste ist lang. Anhand dieser „Ausgangsüberprüfung“ oder „Ist-Zustandsfeststellung“, wird ein Trainingsplan erstellt. In manchen Fällen werden dann nach ca. sechs bis 12 Wochen die gleichen Tests erneut durchgeführt, um zu überprüfen, ob es Veränderungen zu den anfänglichen Ergebnissen gibt. Das ist eine etablierte Vorgehensweise und zumindest mehr als nur ein vorgefertigter Plan aus der Schublade. Doch was passiert, wenn sich in dieser Zeit nichts verbessert oder sogar verschlechtert? In diesem Fall haben wir sechs bis 12 Wochen Zeit verschwendet. Wären die einzelnen Übungen sofort auf ihre individuelle Wirkung, überprüft worden, hätte der Zeitraum effektiv genutzt werden können.
Sofortiges Feedback
Dies ist ein Kernaspekt des neurozentrierten Trainings. Der Fokus liegt darauf, in der aktuellen Situation jedem Individuum das bestmögliche und effizienteste Training anzubieten. Jeder Körper und jedes Nervensystem reagiert unterschiedlich auf Trainings- und Behandlungsreize, die entsprechend individuell zu ermitteln sind. Was für den einen eine positive Maßnahme ist, um z. B. seine Rückenprobleme zu mildern, kann für den nächsten kontraproduktiv sein. Der entscheidende Punkt hierbei ist die Reaktion unseres Gehirns bzw. Nervensystems. Es liefert ein sofortiges Feedback über die Effizienz eines Stimulus, wie z. B. einer Trainingsübung, Trigger Punkt Behandlung, manuelle Therapie usw. Empfindet unser Gehirn den erfolgten Stimulus als „positiv“, regiert es mit einer Verbesserung, was sich in Schmerzreduktion oder Performanceverbesserung äußern kann.
Um zu überprüfen, wie unser Gehirn auf die Übung/Intervention reagiert, gibt es verschiedene Möglichkeiten. Hier einige Beispiele:
- Beweglichkeit/Range of Motion
- Stabilität/Gleichgewicht
- Muskelfunktionstests
- Sehvermögen
- Ganganalyse/Bewegungsmuster
- Blutdruck/Perfusion Index
Zwei gängige Tests im neuronzentrierten Training sind Beweglichkeit und Stabilität. Beide Möglichkeiten sind schnell und einfach durchzuführen.
Beweglichkeit/Range of Motion
Du führst einen Beweglichkeitstest durch, um die aktuelle „Tagesform“ bzw. das Ausgangsniveau zu ermitteln. Hier bieten sich Bewegungen im Schultergelenk (Innen- und Außenrotation), die Ganzkörperrotation oder die Vorbeuge an. Direkt im Anschluss wird erneut der gleiche Beweglichkeitstest durchgeführt und die Veränderung zum Ausgangsniveau ermittelt und notiert. Für vergleichbare Ergebnisse sollte die Durchführung des Tests auch gleich erfolgen.
Stabilität/Gleichgewicht
Der Sportler oder Trainer überprüft die Stabilität bzw. das Gleichgewichtsvermögen. Hierzu nimmt er eine bestimmte Fußstellung ein. Je nach Schwierigkeitsgrad kann das Parallelstand, Tandemstand oder Einbeinstand bedeuten. Der Trainer beobachte, wie viel Bewegung im Körper zu erkennen ist und wie lange die Position stabil gehalten werden kann. Als Hilfsmittel eignet sich eine Stoppuhr. Direkt im Anschluss wird erneut der gleiche Gleichgewichtstest durchgeführt und die Veränderung zur Baseline ermittelt und notiert. Die Veränderung kann sich in mehr oder weniger Körperbewegung darstellen oder auch in einer veränderten Zeit, die die Position gehalten werden kann. ist, die gleiche Fußposition zu wählen wie beim ersten Test.
Bei beiden Tests können sich jeweils drei Resultate ergeben:
- Das Testergebnis verbessert sich. Das heißt die Beweglichkeit verbessert sich oder der Sportler wird stabiler. In diesem Fall ist die Übung als positiv zu bewerten. Sie eignet sich im heutigen Training.
- Das Ergebnis bleibt gleich. Es lässt sich keine Veränderung zum Ausgangsniveau erkennen. Die Übung ist neutral und kann somit ohne negative Effekte in das Training integriert werden. Eine Verbesserung bei z. B. Mobilitätseinschränkungen oder Schmerzen, ist hier jedoch nicht zwingend zu erwarten.
- Das Resultat wird schlechter. Der Sportler hat eine verminderte Range of Motion im Vergleich zum Ausgangspunkt oder wird instabiler. Bei diesem Ergebnis handelt es sich um eine negative Übung. Sie sollte zum aktuellen Zeitpunkt nicht in den Trainingsplan integriert werden, da hierdurch keine Verbesserung zu erwarten ist. Im Gegenteil. Die Übung kann sich sogar negativ auswirken.
Langzeit-Erfolg?
Doch woher weiß ich nun, ob die Übungen, die heute ein positives Resultat hatten und ich somit für das Training gewählt habe nun auch einen Langzeit Erfolg bringen? Und was hat jetzt Beweglichkeit oder Gleichgewicht mit z. B. Rückenbeschwerden zu tun? Um diese Fragen zu beantworten, kommt das Nervensystem ins Spiel. Es arbeitet nach dem Schema Informationsaufnahme (Input) und Informationsverarbeitung (Output).
Dies bedeutet vereinfacht: je „besser“ unser Input sowie dessen Verarbeitung ist, desto „besser“ ist auch der jeweilige Output. Die Geschwindigkeit, mit der unser Nervensystem auf die verschiedenen Stimuli reagiert, beträgt bis zu 120 m/s. Ebenso schnell und vielfältig kann die Reaktion unseres Körpers sein. Empfindet unser Nervensystem eine Übung oder Behandlung als negativ bzw. bedrohlich, erhöht sich dadurch die Unsicherheit im Gehirn und unser Körper reagiert mit einer Art Schutzmechanismus. Dazu zählen in erster Linie die Einschränkung von Kraft und Beweglichkeit, eine Erhöhung der muskulären Spannung, eine Verschlechterung der Stabilität oder Schmerz. Interpretiert unser Nervensystem einen Stimulus jedoch als positiv/hilfreich, so erhöht sich das allgemeine Sicherheitsempfinden in unserem Gehirn. Dies führt zu einer Optimierung des Ergebnisses, was mehr Kraft, eine bessere Beweglichkeit, mehr Stabilität sowie weniger Schmerzen etc. bedeutet.
Jede Trainingsübung oder Behandlungsmaßnahme stellt hierbei eine eingehende Information dar, die einen Einfluss auf unser Nervensystem hat und eine entsprechende Reaktion verursacht. Wurden eine oder mehrere Übungen als positiv identifiziert, d.h. der Test hat sich nach der Übungsausführung verbessert, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass diese Übungen auch in anderen Bereichen, wie z. B. einer Schmerzproblematik, einen positiven Einfluss haben. Mit diesen positiven Übungen kann dann das aktuelle Training gestaltet werden und der Trainer bietet seinem Klienten ein für diesen Moment bestmögliches Training an.
Um langfristige Verbesserungen sicher zu stellen, ist es gut die Übung/Behandlung in jedem Termin neu zu überprüfen und zu bewerten. Unser Körper ist so komplex und so individuell, dass jede kleinste Veränderung im Alltag oder der Umgebung zu einer Veränderung der jeweiligen Situationsbewertung durch unser Gehirn führen kann. Im neurozentrierten Training wird daher in jeder Trainingseinheit aufs Neue überprüft, ob die für heute gewählten Übungen positiv sind oder ob die Übungen ggf. modifiziert oder ausgetauscht werden müssen. Unter Berücksichtigung dieses individuellen und kontinuierlichen Assessments-Ansatzes über den Trainings- bzw. Behandlungszeitraum, wird sich aller Voraussicht nach auch langfristig eine Verbesserung ergeben. Dies gilt es selbstverständlich ebenfalls in regelmäßigen Abständen zu überprüfen und ggf. zu reagieren.
Quelle: Richard Pflaum Verlag
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